Rund um die Gebärdensprache
Für was steht DGS?
DGS steht für Deutsche Gebärdensprache.
Ist die Gebärdensprache international?
Gebärdensprachen sind mit der Zeit innerhalb der Gemeinschaft tauber Menschen gewachsen. Daher unterscheiden sie sich von Land zu Land und sogar von Region zu Region. Auch die Deutsche Gebärdensprache (DGS) verfügt über viele regionale Dialekte. In Baden-Württemberg spricht man also nicht nur anders als in Berlin, man gebärdet auch anders.
Grundsätzlich hat jedes Land eine eigene Gebärdensprache. So gibt es in Österreich und in der deutschsprachigen Schweiz jeweils eigene Gebärdensprachen, die sich von der Deutschen Gebärdensprache unterscheiden. Die Amerikanische Gebärdensprache ist völlig anders als die Britische Gebärdensprache, welche aber wiederum mit der Australischen Gebärdensprache verwandt ist. Gebärdensprachen sind also nicht an die jeweiligen Lautsprachen gekoppelt, sondern haben sich teilweise gänzlich anders entwickelt.
Es gibt jedoch die sogenannten „International Sign (IS)“, mit denen sich bspw. Kongressbesucher:innen aus aller Welt auf internationalen Kongressen und bei internationalen Sportveranstaltungen verständigen können. International Sign sind keine Gebärdensprache, sondern eine künstlich erschaffene Mischsprache. Sie basieren auf Wiederholungen, Landesgebärden sowie Umschreibungen von Gebärden und Sachverhalten. Verglichen mit den Landessprachen ist die Kommunikation in International Sign entsprechend aufwändiger.
Worin liegt der Unterschied zwischen Gebärdensprachen und Lautsprachen?
Gebärdensprachen sind natürlich entstandene Sprachen. Sie verfügen über ein umfassendes Vokabular und eine eigenständige Grammatik, die grundlegend anderen Regeln folgt als die Grammatik von Lautsprachen bzw. gesprochenen Sprachen.
Beide Sprachen nutzen unterschiedliche Modalitäten:
- Lautsprachen bedienen sich am gesprochenen Wort. Beim Sprechen werden akustische Reize gebildet, die über die Ohren wahrgenommen werden. Sätze werden mittels Betonung, Sprachrhythmen oder Sprachmelodie modelliert.
- Gebärdensprachen sind visuell-räumlich aufgebaut. Sie nutzen Gebärden, die sich durch Handstellung, Handformen und Bewegungen unterscheiden. Sie werden vollständig über die Augen wahrgenommen. Gebärden werden durch den Einsatz des Körpers und durch die Mimik modelliert sowie durch das Mundbild unterstützt.
Gebärdensprachen sind ebenso komplex wie Lautsprachen, auch wenn sie anders aufgebaut sind. Mit ihnen kann man sich auf hohem Niveau unterhalten. In der Regel nutzen taube und stark schwerhörige Menschen untereinander Gebärdensprachen, weil sie im Gegensatz zu Lautsprachen eine entspannte und verlässliche Kommunikation ermöglichen.
Von Wissenschaft und Gesetzgebung ist die Deutsche Gebärdensprache (DGS) seit dem Jahr 2002 als eigenständige und vollwertige Sprache anerkannt.
Rund um die Gebärdensprache und Kinder- und Jugendbildung
Wofür stehen Bimodalität und Bilingualität?
Die Begriffe „bimodale Bilingualität“ bzw. „bimodal-bilingual“ stehen für die Zweisprachigkeit in einer Gebärden- und einer Lautsprache.
Ab welchem Alter können Kinder eine Gebärdensprache erlernen?
Kinder können grundsätzlich ab jedem Zeitpunkt eine Gebärdensprache erlernen. Der Gebärdenspracherwerb setzt bei Kleinkindern sogar früher ein als der Lautspracherwerb.
Warum profitieren alle Kinder von einer Gebärdensprache?
Jedes Kind nutzt nonverbale Kommunikationsmittel, bevor es die Lautsprache erwirbt und zeigt beispielsweise auf Gegenstände, um sich mit seiner Umwelt zu verständigen. Das Erlernen einer Gebärdensprache im Kleinkindalter fördert nachweislich den Lautspracherwerb, da Inhalte zunächst in einer Gebärdensprache vermittelt und verstanden und dann lautsprachlich ausgedrückt werden können. Die Gebärdensprache fördert außerdem die visuelle Vorstellungskraft, das räumliche und logische Denken und die Kreativität. Visuelle und akustische Reize stimulieren unterschiedliche Bereiche des Gehirns und fördern so die Intelligenzentwicklung.
Ein klarer Vorteil der Gebärdensprache für schwerhörige und taube Kinder ist die Unabhängigkeit von technischen Hilfsmitteln wie Hörgeräten und Cochlea-Implantaten, kurz CI. Sie funktionieren nicht in jeder Situation. Wenn beispielsweise ein CI seinen Zweck erfüllen soll, muss der Hörnerv noch funktionsfähig sein. Diese Voraussetzung bringt nicht jeder Mensch mit. Und selbst wenn ein Implantat erfolgreich eingesetzt wurde, ist das kein Garant auf ausgeprägtes Hören. Kinder, die CI tragen, nehmen Gesprochenes in unterschiedlichen Abstufungen wahr. Manchmal deutlich, manchmal dumpf oder nur als Rauschen. Bimodale Bilingualität ist daher der beste Weg zu Verständigung und Chancengleichheit.
Mein Kind hat ein CI-Implantat bekommen, sollte es trotzdem die DGS lernen?
Viele Kinder bleiben trotz CI-Implantat schwerhörig. Ihnen neben Lautsprache eine weitere Kommunikationsform anzubieten, kann daher förderlich sein.
Der Deutsche Gehörlosen-Bund e.V. empfiehlt, „(…) das Kind im Falle einer Implantation zumindest bilingual, also einschließlich der Gebärdensprache, zu fördern und zu erziehen. Dabei können sowohl die gehörlosen wie auch die hörenden Eltern ihr gehörloses Kind von jeder Seite fördern: die gehörlosen Eltern durch die natürliche gebärdensprachliche Sozialisation unter Einbeziehung der hörenden Welt und Lautsprache, sowie hörende Eltern durch zusätzlich gemeinsame, bilinguale Kommunikation mit der Gebärdensprache.“
Im Text schreibt der DGB weiter: „Wenn das hörbehinderte Kind zweisprachig mit Gebärdensprache und Lautsprache aufwächst, ist am ehesten eine vergleichbar umfassende Kommunikation, wie Hörende diese von der Lautsprache her kennen, gegeben. Schulversuche haben bewiesen, dass bilingual erzogene gehörlose Kinder eine annähernd gleiche Lesekompetenz und ein annähernd gleiches Textverständnis erreichen können, wie gleichaltrige hörende Kinder. Die bilingual erzogenen Kinder zeigten zudem ein besseres Lautsprachvermögen als rein lautsprachlich geförderte gehörlose Kinder. (…) Bei der bilingualen Methode ist keine Gefährdung des Kindeswohls zu erkennen.“
(Quelle: DGB, Der CI-Zwang für gehörlose Kinder ist nicht mit der UN-Behindertenrechtskonvention vereinbar. Unsere Aktivitäten bezüglich der aktuellen Situation um das Cochlea-Implantat. 27. März 2018, http://www.gehoerlosen-bund.de/sachthemen/cochlea%20implantate%20(ci)).
Sind Gebärdensprachen auch für hörende Kinder geeignet, die nicht altersgerecht sprechen?
Ja, auch für Kinder, die aus verschiedensten Gründen nicht oder nicht altersgerecht sprechen, eignen sich Gebärdensprachen. Beispielsweise gibt es Erfahrungen mit Kindern mit Trisomie 21 oder Autismus-Spektrum-Störung, die in dieser Hinsicht von Gebärdensprachen profitiert haben. Kindern mit einer gestörten lautsprachlichen Entwicklung fällt es oftmals leichter, sich in einer Gebärdensprache verständlich zu machen, da Störungen des Redeflusses wie zum Beispiel Stottern und die damit verbundenen Hemmungen entfallen. Ein weiterer wesentlicher Vorteil ist, dass Gebärdensprachen für Kinder mit einer gestörten lautsprachlichen Entwicklung überhaupt einen Kommunikationskanal schaffen. Durch die Möglichkeit, zu kommunizieren werden Frustrationen bei den Kindern abgebaut. Sie können sich ihrem Umfeld verständlich machen und stabile Bindungen zu Bezugspersonen aufbauen.
Ist Lautsprache im Hinblick auf Teilhabe an der Gesellschaft nicht besser für mein Kind?
Mit einer bilingual-bimodalen Erziehung wird ihr Kind auf das Leben in einer inklusiven Gesellschaft vorbereitet. Es wird in seiner Identitätsentwicklung unterstützt, damit es sich selbst als wertvoll und wichtigen Teil der Gesellschaft erleben kann. Die Lautsprache ist dabei stets auch ein wichtiger Teil der Welt Ihres Kindes und es geht bei einer Erziehung mit Gebärdensprache keineswegs darum, die Lautsprache oder den Lautspracherwerb Ihres Kindes zu unterbinden.
Kann mein Kind mit einer Hörbeeinträchtigung einen Regelkindergarten oder eine Regelschule besuchen und einen „normalen“ Abschluss machen?
Ja, ihr Kind hat auch mit einer Hörbeeinträchtigung Anspruch darauf, einen Regelkindergarten und weiterführend eine Regelschule zu besuchen. Diesbezüglich kann Antrag auf eine begleitende Assistenz, einen Gebärdensprachdolmetscher oder eine Gebärdensprachdolmetscherin gestellt werden. Wir beraten Sie gerne über die Möglichkeiten sowie über Vor- und Nachteile der verschiedenen Einrichtungen.
Müssen wir als Eltern die DGS perfekt beherrschen, um mit unserem Kind zu kommunizieren?
Grundsätzlich gilt, dass jede Kommunikation mit Ihrem Kind gut ist. Auch wenn Sie erst wenige Gebärden kennen, hilft es Ihrem Kind, dass Sie sich bemühen, mit Ihrer Körpersprache, Mimik und Gestik zu kommunizieren. Scheuen Sie sich nicht, die wenigen Gebärden, die Sie vielleicht kennen, einzusetzen. Wenn Sie sich dabei wohler fühlen, nutzen Sie gerne auch Ihre Stimme mit zur Kommunikation, da Ihr Mundbild und Ihre Mimik natürlich sind und Sie dem Kind Ihre Emotionen dadurch gut vermitteln können.
Entfremdet eine Förderung in DGS unser Kind von seinem hörenden Umfeld?
Sie müssen nicht befürchten, dass Sie das Kind von seiner hörenden Familie und seinem erweiterten Umfeld entfremden, wenn Sie ihm die Möglichkeit bieten, DGS zu erlernen. Als Familie sollten Sie die DGS ebenfalls lernen, um Ihr Kind zu unterstützen und die Kommunikation in der Familie barrierefrei zu gestalten. Dabei haben Sie Anspruch auf Unterstützung wie Eingliederungs- und Integrationshilfen, Frühförderung und Hausgebärdensprachkurse. Wir helfen Ihnen diesbezüglich gerne weiter und beraten Sie zu den Angeboten und Möglichkeiten.
Offenheit, Verständnis und der ungezwungene Umgang innerhalb der Familie sind ebenfalls wichtige Bestandteile einer gelingenden Kommunikation. Auch, wenn nicht alle in der Umgebung des Kindes die DGS beherrschen, können Sie zu einer Sensibilisierung beitragen, indem Sie Verwandte und Freunde der Familie über den natürlichen Umgang und eine natürliche Kommunikation mit Ihrem Kind aufklären.